Wird AI Ärzte überflüssig machen?

Ja, sagt J?rg Goldhahn. Systeme der k¨¹nstlichen Intelligenz werden sich st?ndig weiterentwickeln und fr¨¹her als wir denken ?rzte in vielem ¨¹bertreffen.

Jörg Goldhahn

Es ist schon heute ersichtlich: Systeme der k¨¹nstlichen Intelligenz (AI) haben das Potenzial, ?rzte zu ¨¹bertreffen ¨C in der Radiologie, Dermatologie und der Intensivmedizin genauer zu diagnostizieren, grunds?tzlich bessere Prognosen zu erstellen sowie pr?ziser zu operieren. Ausserdem k?nnen sich Roboter medizinisches Wissen aneignen: Letztes Jahr hat ein Roboter in China das Staatsexamen bestanden und dabei die erforderliche Minimalpunktzahl deutlich ¨¹bertroffen.1

AI im Spital
Computersysteme k?nnten ?rzte ersetzen, denn in vielen Teilen der Welt w?chst die Nachfrage nach ?rzten schneller als das Angebot (gestelltes Symbolbild). (Bild: Shutterstock)

Pr?ziser, umfangreicher und zuverl?ssiger

Auch wenn Maschinen heute noch nicht in allen F?llen besser sind als ?rzte, ist es keine grundlegende Herausforderung, die Maschinen zu verbessern, sondern nur eine technische. Denn die F?higkeit von AI-Systemen, Daten zu verarbeiten, zu lernen und sich selbst zu korrigieren, ist beinahe unbegrenzt. Und w?hrend das menschliche Lernen oft von kulturellen und institutionellen Pr?ferenzen wie zum Beispiel unterschiedlichen Denkschulen beeinflusst wird, lassen AI-Systeme dank Deep-Learning-Methoden solche Einfl¨¹sse ausser Acht. Diese Systeme k?nnen sich rund um die Uhr neues Wissen aneignen und sich mit einer Geschwindigkeit perfektionieren, mit der der Mensch nicht mithalten kann. Selbst komplexe medizinische Entscheidungsprozesse, in denen auch ethische und wirtschaftliche Aspekte ber¨¹cksichtigt werden (Clinical Reasoning), k?nnen solche Systeme simulieren.

Es ist heute m?glich, Gesundheitsdaten von Apps, Wearables und sozialen Plattformen mit einem elektronischen Patientendossier zusammenzuf¨¹hren.2 Maschinen erhalten dadurch ein immer vollst?ndigeres Bild von der Gesundheit eines Menschen im Laufe seines Lebens und ein Maximum an Wissen ¨¹ber seine Krankheiten. Auch sind Maschinen heute in der Lage, nat¨¹rliche Sprache zu verarbeiten, dadurch die schnell wachsende wissenschaftliche Literatur zu ?lesen? und sich ?weiterzubilden?, zum Beispiel ¨¹ber Wechselwirkungen von Medikamenten.3

Die Vorstellung, dass die heutigen ?rzte dieses Wissen ¨¹berblicken und abrufen k?nnten, indem sie sich ¨¹ber die aktuelle medizinische Forschung auf dem Laufenden halten und gleichzeitig einen engen Kontakt zu ihren Patienten halten, ist eine Illusion, nicht zuletzt wegen der schieren Datenmenge.

?Zu sagen, dass Patienten immer Mitgef¨¹hl von ?rzten ben?tigen, w¨¹rde bedeuten, wichtige Unterschiede zwischen den Patienten ausser Acht zu lassen.?J?rg Goldhahn

Doch ein grosses Problem der heutigen Gesundheitssysteme ist ihre Wirtschaftlichkeit: Explodierende Kosten sind die Folge. AI einzuf¨¹hren, ist potenziell billiger, als neues Personal auszubilden und einzustellen.4 Ausserdem sind diese Systeme immer und ¨¹berall verf¨¹gbar, und sie k?nnen Patienten sogar aus der Ferne ¨¹berwachen. Das ist ein Vorteil, denn die Nachfrage nach ?rzten w?chst in vielen Teilen der Welt schneller als das Angebot.5

F¨¹rsorglich und weniger voreingenommen

Als Trumpfkarte zugunsten der ?rzte wird oft ihre F?higkeit genannt, Beziehungen zu Patienten aufzubauen. Allerdings k?nnte genau dies auch ihre Achillesferse sein. Es ist klar: Vertrauen hat f¨¹r Patienten einen hohen Stellenwert. Es wurde gezeigt, dass Patienten die Qualit?t von Pflegeleistungen dann als hoch bewerten, wenn sie den Leistungserbringern vertrauen.6 Ziel dieses Vertrauens muss jedoch nicht unbedingt der Mensch sein. Es k?nnte sein, dass Patienten Maschinen und Systemen st?rker vertrauen, weil sie diese als unvoreingenommen und frei von Interessenkonflikten wahrnehmen, zum Beispiel in der Verschreibungspraxis.7

Zu sagen, dass Patienten immer Mitgef¨¹hl von ?rzten ben?tigen, w¨¹rde bedeuten, wichtige Unterschiede zwischen den Patienten ausser Acht zu lassen: Viele, vor allem j¨¹ngere Patienten mit leichten Beschwerden wollen einfach eine genaue Diagnose und eine erfolgreiche Behandlung.8 Mit anderen Worten: Sie bewerten die richtige Diagnose h?her als reines Mitgef¨¹hl. Ausserdem sind sehr pers?nliche Situationen denkbar, in denen Patienten die Dienste eines Roboters sogar bevorzugen k?nnten, um Schamgef¨¹hle zu vermeiden.

Auch Patienten, die sich nach Interaktion mit Menschen sehnen ¨C zum Beispiel solche mit einer ernsthaften oder gar terminalen Diagnose ¨C k?nnen feststellen, dass Maschinen ihre Bed¨¹rfnisse besser erf¨¹llen. Neuere Studien zeigen n?mlich, dass computergesteuerte Sprachdialogsysteme das Potenzial haben, den Gesundheitszustand von Patienten zu verfolgen, Pflegevorschl?ge zu machen9 und sogar Menschen am Lebensende begleiten zu k?nnen.10

?rzte, wie wir sie heute kennen, werden irgendwann ¨¹berfl¨¹ssig sein. In der Zwischenzeit erwarte ich eine schrittweise Einf¨¹hrung der AI-Technologie in vielversprechenden Bereichen, zum Beispiel der Bildanalyse oder Mustererkennung. Sp?ter kommen Machbarkeitsstudien, die den Mehrwert dieser Technologie f¨¹r Patienten und Gesellschaft aufzeigen. Dies wird schliesslich zu einer breiteren Nutzung der AI in vielen Bereichen f¨¹hren, und fr¨¹her als wir denken, werden ?rzte nur noch die AI-Systeme unterst¨¹tzen. Diese Systeme werden nicht perfekt sein, aber sie werden sich st?ndig weiterentwickeln und die ?rzte in vielen Bereichen ¨¹bertreffen.

Die englische Fassung dieses Beitrags wurde im externe SeiteBritish Medical Journal im Rahmen eines Pro/Contra-Beitrags ver?ffentlicht. Den Contra-Teil verfasste die ehemalige ETH-Wissenschaftlerin Vanessa Rampton.

Goldhahn J, Rampton V, Spinas GA: Could artificial intelligence make doctors obsolete? British Medical Journal, 7. November 2018, doi: externe Seite10.1136/bmj.k4563

externe SeitePodcast des British Medical Journal mit J?rg Goldhahn und Vanessa Rampton (auf Englisch)

Referenzen

1 Yan A: externe SeiteHow a robot passed China¡¯s medical licensing exam. South China Morning Post 2017
2
externe SeiteSwiss Personalized Health Network 2017
3
Lim S, Lee K, Kang J: Drug drug interaction extraction from the literature using a recursive neural network. PLOS One 2018, doi: externe Seite10.1371/journal.pone.0190926
4
Miliard M: externe SeiteHealthcare AI poised for explosive growth, big cost savings. Healthcare IT News 2017
5
IHS Markit: externe SeiteThe Complexity of Physician Supply and Demand: Projections from 2016 to 2030, 2018.
6
Brennan N, Barnes R, Calnan M, Corrigan O, Dieppe P, Entwistle V: Trust in the health-care provider¨Cpatient relationship: a systematic mapping review of the evidence base. International Journal for Quality in Health Care, 25: 682, 2013. doi: externe Seite10.1093/intqhc/mzt063.
7
Litvin CB, Ornstein SM, Wessell AM, Nemeth LS, Nietert PJ: Adoption of a clinical decision support system to promote judicious use of antibiotics for acute respiratory infections in primary care. International Journal of Medical Informatics 81: 521, 2012, doi: externe Seite10.1016/j.ijmedinf.2012.03.002
8
Wong C, Harrison C, Britt H, Henderson J: Patient use of the internet for health information. Australian Family Physician, 43: 875-7, 2014
9
Laranjo L et al.: Conversational agents in healthcare: a systematic review. J Am Med Inform Assoc. 2018. doi: externe Seite10.1093/jamia/ocy072
10
Paasche-Orlow M, Bickmore TW: externe SeiteConversational Agents to Improve Quality of Life in Palliative Care

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